100 Tage Geduld

Fleischreifung in der Rinderbutter

Am häufigsten fällt die Wahl bei der Lagerungsmethode für Frischfleisch heute auf die sogenannte Vakuumreifung. Dafür werden die einzelnen Teilstücke nach der Schlachtung separat in dicke Lebensmittelfolie verpackt; der Packung wird dabei jegliche Luft entzogen. Das hat mehrere Vorteile: So kann die Reifungsdauer genau für das jeweilige Teilstück bemessen werden, es gibt keine nennenswerten Abtrocknungsverluste und kaum eine Vermehrung aerober Keime. Dieser Luftabschluss kann bei langer Reifung aber auch zu gewisser geschmacklicher Beeinträchtigung führen, wenn bei Schlachtung und Verpackung nicht alle Parameter stimmen. Deshalb gibt es viele Spitzengastronomen, die ihr Fleisch extra „trocken“ reifen lassen – also am Haken, so wie früher alles gereift wurde. Dass da etwas dran ist, haben wir bereits auch in eigenen Tests herausgefunden. Es gibt aber eine noch aufwendigere Art, zu perfekt gereiftem Rindfleisch zu kommen.  

Hofmanns Erzählungen. Eine alte, völlig zu Unrecht fast in Vergessenheit geratene Methode ist die Reifung von Fleisch in der „Rinderbutter“, wie bester Talg in diesem Zusammenhang gerne genannt wird. Mit diesem Fett ummantelt können Teilstücke, sogar einzelne Steaks, über lange Zeiträume butterweich gereift werden, wie man uns versicherte. Mit Unterstüzung des Weinviertler Edelfleischers Franz Hofmann machten wir natürlich auch hier die Probe aufs Exempel. Also baten wir ihn, das eine oder andere Stück Beiried und Rostbraten auf diese Weise zu reifen. Nicht ohne Grund wählten wir diese Teilstücke, da sich gerade die Beiried mitunter recht standhaft weigert, mürbe zu werden. Für die Ummantelung des Fleisches kamen zwei unterschiedliche Methoden zum Einsatz: Größere, gut gekühlte Teilstücke wurden mehrfach mit ausgelassenem Rinderfett übergossen. So entstand eine dicke Schicht aus diesem Material. Einzelne, dicke Steaks wiederum wurden regelrecht in einen Talgziegel gegossen, der sie hermetisch von der Außenwelt abschirmte, aber offensichtlich dennoch eine gewisse Diffusion zuließ. In beiden Fällen wurde das Fleisch bei etwa 3 °C gelagert.  

Alles in Butter. Bei den Verkostungen der unterschiedlich gereiften Steaks, die zuvor sieben Wochen lang in Rinderbutter gereift waren, setzte sich ganz klar das Fleisch aus dem Talgblock durch. Denn es roch nach fast zwei Monaten nicht nur ganz unglaublich frisch, sondern schmeckte auch noch besser als das ebenfalls sehr achtbare Steak, das wir aus dem großen Teilstück geschnitten hatten. Und auch die Mürbheit des Testgewinners war überlegen. Obschon es sich hier um ganz normales Jungstierfleisch handelte, das wir für diesen Test verwendeten – und nicht etwa um jenes einer Kalbin oder eines Jungrindes – , gelang das Steak am Grill saftig und zart. Wobei „ganz normal“ hier natürlich relativ ist. Denn Franz Hofmann überlässt nichts dem Zufall, wenn er Fleisch für seine Geschäfte einkauft.  

9 ½ Wochen. Trotz dieses Erfolges glauben wir aber immer noch nicht, dass hier das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Und wir haben uns daher noch ein paar der Rinderbutter-Ziegel mit eingegossenen Steaks in der 800-Gramm-Kategorie für weitere Tests aufgehoben, mit denen wir das ausloten wollten. Immerhin sind „100-day-steaks“ in den USA und Australien hochgeschätzte Spezialitäten für Feinschmecker. Nach insgesamt 100 Tagen verkosteten wir also gemeinsam dann noch einmal das Produkt unserer Mühen. Und wieder beeindruckten die Steaks durch eine fast unglaubliche Frische und feines Aroma. Keine Spur von Muffigkeit, wie dies nach längerer Vakuumreife nahezu unumgänglich ist. Auch keine Spur von Verderbnis, denn der Keimausschluss gelang offensichtlich durch die dicke Fettschicht sehr gut. Wobei das Fleisch aber offensichtlich immer noch genug „atmen“ konnte, um physiologisch perfekt zu reifen. Die weiteren Fortschritte in der Zartheit waren allerdings gegenüber unserem letzten Test, der ja bereits über ein Monat zurücklag, nur mehr relativ gering. Kein Wunder, denn die Basis gab diesmal kaum mehr einen Verbesserungsspielraum.

Unser Fazit: Wer Gelegenheit dazu hat, Rindfleisch zu kaufen, das ein, zwei Monate gereift wurde, wird den Unterschied zur Standardware sehr deutlich feststellen. Der dritte Monat ist dann schon purer Luxus.

Quelle: GrillZeit 03/2008 

Auch nach sieben Wochen in der Reifekammer war das Jungstier-Fleisch von erstaunlicher Frische und kräftiger Farbe, dennoch besonders zart und mürbe. Das im Ganzen gereifte Teilstück hatte einen dünneren Mantel an „Rinderbutter“.

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