Die Reifeprüfung

Rindfleisch mit Matura

Wir Grillfans lieben Frischfleisch. Aber bitte nicht wirklich frisch. Denn nicht einmal ein Hendl schmeckt schlachtfrisch am besten, sondern braucht mindestens einen Tag, damit sich die Fleischfasern entspannen können. Und erst nach drei oder vier Tagen hat Geflügelfleisch seinen vollen Geschmack entwickelt. Beim Schwein sind es ebenfalls einige Tage, die man zumindest zuwarten sollte und beim Rind gehen sogar ein paar Wochen ins Land, bis das Fleisch ideal mürbe und aromatisch wird.

Dann aber wird nicht nur ein Lungenbraten zart, auch weniger edle Teile, die sonst meist in die Suppe wandern, entwickeln sich zur Steakqualität. Wenn man sie denn lässt. Nur leider hat es sich noch nicht überall herumgesprochen, dass eine längere Fleischreifung auch dem Schmorbraten und dem Tafelspitz zu mehr Zartheit und Aroma verhilft. Nicht nur am Rost, sondern auch im Topf. Das gilt übrigens sogar für Kalbfleisch, das ebenfalls sehr von der Reifung profitiert.

Steak-Affineure. Eine „100 days“ Reifung ist in den USA und Australien ein Prädikat für allerhöchsten Fleischgenuss, der in sehr spezialisierten Steakhäusern Spitzenpreise erzielt. Immerhin ist so ein extrem langer Lagerungsprozess auch für Experten mit einem gewissen Risiko und stets mit Gewichtsverlusten verbunden. Ein Teil der Oberfläche, die dann schon einmal mit einem dichten Flor  Edelschimmel überzogen ist, muss vor der Zubereitung entfernt werden und natürlich verdunstet in drei Monaten eine ganze Menge Wasser. Das Ergebnis jedoch ist großartig – und in Österreich dennoch undenkbar. Ein Restaurant diesen Schlages wäre bei uns schon längst von den Behörden geschlossen worden. Aber zwei bis drei Wochen Reifung sind selbst in unseren Breiten für Premiumqualität unabdingbar. Wie lange, hängt auch von der jeweiligen Fleischart bzw. vom Teilstück ab. Fleisch vom Jungrind oder von der Kalbin ist von Natur aus zarter. Und mit der Dauer der Reifung werden die Fortschritte auch immer kleiner, wie man genau erforscht hat. Die wichtigste Zeit der Reifung sind also die ersten eineinhalb Wochen – daher sind neun Tage auch die Mindestreifezeit für Rindfleisch mit dem AMA-Gütesiegel. 

Die Merkmale.
 Reifes Rindfleisch lässt sich auch in der Selbstbedienungstheke gut erkennen. Leuchtend rotes Fleisch mit elastisch federnder Zellstruktur mag zwar besonders frisch wirken, ist jedoch Garant für forciertes Krafttraining der Kaumuskulatur. Gut abgelegenes Rindfleisch dagegen ist von einem stumpfen Rotbraun (Jungrind bleibt jedoch relativ hell!) und ein prüfender Fingerdruck hinterlässt eine gut sichtbare Mulde, die nur sehr langsam wieder verschwindet. Das verspricht nicht nur weniger Arbeit für den Kiefer, sondern auch ein sensorisch und geschmacklich wesentlich erfreulicheres Erlebnis.

Do it yourself? Einen schönen Braten zu kaufen und ihn dann drei Wochen im Kühlschrank vergammeln zu lassen ist keine Fleischreifung. Diese muss bei definierten Bedingungen stattfinden, also bei geführten Temperaturen, bei spezieller Luftfeuchtigkeit sowie genau gesteuerter Kälteumwälzung und in einer mikrobiologisch geeigneten Umgebung. Haben Sie allerdings Ihr Fleisch in einer Vakuum-Packung gekauft und nennen Sie eine Null-Grad-Zone ihr Eigen, kommen wir der Sache schon näher. Die Legende jedoch, dass auch Tiefkühlen eine Fleischreifung ersetzt, lebt – und ist falsch. Wahr ist vielmehr, dass tiefgekühltes Fleisch aufgrund der veränderten Zellstruktur nach dem Auftauen wesentlich schneller reift (aber auch verdirbt), als frisches. Und selbst reifen kann man Fleisch tatsächlich auch im Rekordtempo, sofern man einen geeigneten Herd oder gar Kombidämpfer besitzt. Hier wird das Fleisch auf eine Kerntemperatur von 45 °C gebracht, die Reifungsenzyme werden damit sehr stark aktiviert. Die Zartheit nimmt innerhalb von wenigen Stunden tatsächlich deutlich zu. Auf diesem Effekt basiert übrigens auch das sogenannte Niedertemperaturgaren - das jedoch nicht wirklich als Ersatz für eine anständige Fleischreifung gelten kann. Denn nur bei dieser entwickeln sich auch die erwünschten Geschmacksstoffe. Außerdem kann das Fleisch durch die allzu starke Enzymtätigkeit fast überreif werden und einen säuerlichen Geschmack bekommen.

Künstliche Mürbe. Der Gedanke, die Zartheit von Fleisch durch mechanische und chemische Methoden zu verbessern, ist nicht wirklich neu. Bei Hunnen und Tartaren war es üblich, zähes Fleisch unter dem Sattel weich zu reiten und damit die Muskelstruktur mechanisch aufzubrechen. Auch das Klopfen des Fleisches ist ja ein bewährtes Verfahren zum Zartmachen des Fleisches. Der gleiche Effekt wird durch den Einsatz von Steakern (Steakmaschinen mit Nadelwalzen) erreicht. Ein Vorgang, der nicht wirklich empfehlenswert ist, da dabei die Zellstruktur zerstört wird und das Fleisch trocken wird. Gebräuchlich ist auch das sogenannten „Poltern“ von Fleisch, wo die Muskelstruktur durch eine Art Kneten geknackt wird. Indianer wiederum verwendeten früher Blätter bestimmter Pflanzen, in die sie Fleisch von Wildtieren einwickelten, um es zarter zu machen. Enzyme, die aus den Blättern in das Fleisch übergingen, spalteten dabei die Fleischeiweiße. Manche frische Früchte wie Kiwis, Limetten, Ananas, Papayas und Ingwer enthalten ebenfalls ähnliche Enzyme. Wenn man rohes Fleisch damit einreibt oder besser noch den Saft injiziert, erzielt man tatsächlich einen erstaunlichen Effekt. Zu bedenken ist allerdings, dass man auch mit dem jeweiligen Geschmack im Fleisch leben muss, in Mürbsalzen, den sogenannten „Tenderizern“, sind ebenfalls Enzyme für den Effekt verantwortlich. Der qualitativ jedoch nicht wirklich mit einer Mürbe auf Basis echter Fleischreifung mithalten kann.

Quelle: GrillZeit 01/2008

Bei der heute üblichen Reifung in der Folie unter Vakuum kann die Reifungsdauer den Anforderungen der einzelnen Teilstücke angepasst werden. Die Reifung in Vierteln oder Hälften am Haken ist heute hingegen leider fast verschwunden, obwohl Spitzenküche sich einig sind, dass ein am Stück gerreiftes Filet an Zartheit nicht zu übertreffen ist. Die erforderliche Kühlraumkapazität, die aufwendigere Kühlung und die durch die längere Reifung größeren Gewichts- und Abschnittverluste verteueren die Angelegenheit jedoch emfpindlich.

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