Carpaccio für Fortgeschrittene

Als Guiseppe Cipriani in „Harrys Bar“ vor rund 60 Jahren nicht nur den „Bellini“ sondern auch das „Carpaccio“ ersann, schnitt er hauchdünne Scheiben aus dem Rinderfilet, wie es auch heute noch vom Gros der Küchenliteratur empfohlen wird, die zudem gerne das Plattieren der Scheiben zwischen zwei Folien propagiert. Kenner der Materie aber wissen längst, dass das Filet eigentlich gar nicht die Idealbesetzung für dieses Gericht ist. Einerseits des Wareneinsatzes wegen - der Lungenbraten schmerzt derzeit finanziell mehr denn je. Andererseits aber gibt es auch Teilstücke, die roh einfach intensiver schmecken als das Filet und mit ihrem etwas festeren Biss auch besser ankommen und handzuhaben sind.

Die besten Teile
Natürlich kommen für das Carpaccio trotzdem nur feinfasrige und zarte Teilstücke in Frage, umso mehr, als eine lange Reifung hier kein Thema ist. Das Fleisch für dieses Gericht muss eine frische, rote Farbe und einen ebenso lebhaften, typischen Geschmack haben. Diese Eigenschaften finden sich bei mehreren Carpaccio-Kandidaten – allesamt vom Schlögel - die entsprechende Fleischqualität selbstverständlich vorausgesetzt:

Das „Weiße Scherzel“ stammt vom hinteren Teil des Knöpfels und ist mager, eher hell in der Farbe und kurzfaserig. Aufgrund seiner Form ist es geradezu ideal für das Carpaccio geeignet und muß lediglich gründlich entvliest werden.

Das „Hüferscherzel“ wird optimalerweise noch in die drei Teile „Zungenstück“, „Hüftzapfen“ und das eigentliche „Hüferscherzel“ feinzerlegt. Während das „Hüferscherzel“ gut abgelegen wunderbare Steaks abgibt, haben der frische „Hüftzapfen“ und das kleinere „Zungenstück“ perfekte Voraussetzungen für das Carpaccio.

Die „Nuss“ wird ebenfalls in drei Teile zerlegt: Der „Nussdeckel“ hat eher gröbere Fasern und eignet sich eher für Ragouts, die „Flache Nuss“ entspricht nicht in der Fasson, aber die „Runde Nuss“ ist - gut entvliest – sehr gut für das Carpaccio geeignet. Ihr Fleisch ist etwas dünkler und auch kräftiger im Aroma.

Manipulation
Um das Fleisch gleichmäßig dünn schneiden zu können, sollte es im Tiefkühler leicht angefrostet werden. Dann lässt es sich mit einer Aufschnittmaschine fast so fein hobeln wie luftgetrockneter Schinken. Zur kurzzeitigen Aufbewahrung im Kühlschrank wird das vorbereitete Carpaccio auf Cellophan gelegt und mit einem weiteren Bogen abgedeckt. Dieses lässt sich deutlich besser von dem hauchdünn geschnittenen Fleisch lösen, als etwa Lebensmittelfolie. Olivenöl, Salz und Pfeffer kommen erst vor dem Servieren auf das Fleisch, ebenso alle anderen Zutaten wie etwa Rucola, gehobelter Parmesan, Trüffel etc. Die Originalsauce von Signore Cipriani zum Carpaccio war übrigens recht simpel: Mayonnaise wird mit Worcestershire-Sauce, Senf, Zitronensaft, Salz und Pfeffer abgeschmeckt und mit etwas Milch zu dickflüssiger Konsistenz gestreckt. E basta.

Historie
Kreiert hat Guiseppe Cipriani das „Carpaccio“ Mitte des vorigen Jahrhunderts in seinem venezianischen Prominententreff „Harry's Bar“ für eine Stammkundin, deren Arzt ihr vom Verzehr gekochten Fleischs abgeraten hatte. Illustre Gäste wie Ernest Hemingway, Orson Wells und Aga Khan sorgten rasch für den Weltruhm dieses Gerichtes. Cipriani benannte seine Kreationen übrigens mit Vorliebe nach berühmten venezianischen Malern. In diesem Fall widmete er sie Vittore Carpaccio, der im 15. Jahrhundert in Venedig gelebt hatte und für seine leuchtenden Rottöne bekannt ist.

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