Knusprig ist angesagt!

Die gesunde Bräune ist aus der Sicht des Dermatologen ein Paradoxon, noble Blässe hingegen erstrebenswert. Denn jede Hautverfärbung, die einem leichten Sonnenbrand folgt, ist für den Arzt nichts anderes als eine Notwehrreaktion der Epidermis und langfristig betrachtet ein Krebsrisiko. Völlig anders scheint die Sache neuesten Erkenntnissen zufolge allerdings bei Lebensmitteln zu liegen. Hier dürfte die sogenannte „Maillard“-Reaktion, also die Verbindung der beiden Nahrungsbestandteile Kohlehydrate und Aminosäuren unter Hitzeeinwirkung, die sowohl für die knusprige Haut des Grillhendls als auch für die Kruste des Apfelkuchens verantwortlich ist, wesentlich segensreicher zu sein, als bisher angenommen.

Jahrelang war gerade diese Knusprigkeit manchen Ernährungsexperten ja sehr suspekt. Mitunter zu recht, denn bei Kartoffeln und Getreideprodukten führen sehr hohe Temperaturen tatsächlich zu krebserregenden Stoffen (Acrylamiden). Beim Grillen von organischen Stoffen (also Fleisch und Fisch) können aus den erwähnten Aminosäuren und Kohlehydraten in Verbindung mit Kreatin auch die sogenannten HAA (heterozyklische aromatische Amine) entstehen, die, in großen Mengen verzehrt, ebenfalls als karzinogen gelten.

Rehabilitierung
Umgekehrt aber mehren sich inzwischen die Hinweise darauf, dass ausgerechnet die, aus der Maillard-Reaktion resultierenden, Melanoidine – also jene Bräunung des Grillgutes, die wir auch aus geschmacklichen Gründen so schätzen – in Wirklichkeit ausgesprochen gesundheitsfördernd wirken. 1998 wurde ein EU-Projekt ins Leben gerufen, das die Zusammenarbeit der auf diesem Gebiet tätigen Forscher in Europa fördern sollte. Zwischenergebnisse dieses Projekts belegen deutlich die positiven Auswirkungen der Melanoidine auf die Gesundheit. Bräunungsprodukte in Kaffee, gerösteter Gerste, Kakao und Brotkrusten wirken den Untersuchungen mehrerer Arbeitsgruppen zufolge antioxidativ. Sie fangen im Organismus reaktionsfreudige Stoffe ab, die mit der Nahrung aufgenommen werden oder beim Stoffwechsel entstehen. Dadurch verhindern die Melanoidine letztlich Schäden am Erbmaterial, die krebsfördernd wirken. Darüber hinaus hat eine Gruppe italienischer Wissenschaftler um Vincenzo Fogliano von der Universität Neapel herausgefunden, dass Melanoidine der Entstehung von Metastasen entgegenwirken können. Die Maillard-Produkte, die von den Forschern im Labor erzeugt worden sind, blockieren bestimmte Eiweißstoffe, sogenannte Lectine, die den Zusammenhalt von Krebszellen bewirken und damit die Bildung von Metastasen beschleunigen. Im Fokus Herrn Foglianos stand dabei übrigens der Espresso, dessen Crema auch besonders viele der wertvollen Melanoidine enthält, was auch für seinen intensiven Geschmack verantwortlich zeichnet. Melanoidine tragen aber nicht nur als Duft- und Geschmacksstoffe sowie als Antioxidantien zur Qualität von Nahrungsmitteln bei, sondern verzögern auch deren Verderb, da sie Luftsauerstoff binden können. Zudem haben sie, wie Forscher aus Madrid ermittelt haben, eine schwache antibakterielle Wirkung, unterdrücken also das Wachstum von Keimen.

Selbstbräuner
Eine braune Kruste am Sonntagsbraten ist aber offensichtlich selbst dann ausgesprochen erstrebenswert, wenn sie nicht nur auf die Einwirkung der Hitze, sondern auch auf eine entsprechende Marinade bzw. Gewürzbepinselung zurückzuführen ist. Denn 1996 fanden kalifornische Wissenschaftler heraus, dass marinierte Hühnerbrust nach dem Grillen bis zu 99 % weniger HAA enthält als unmariniertes Fleisch. Die untersuchte Marinade bestand übrigens aus einer Mischung aus braunem Zucker, Olivenöl, Apfelessig, Knoblauch, Senf, Zitronensaft und Salz. Aber auch in anderen Zusammensetzungen ergaben sich sehr positive Ergebnisse. Eine Studie der Universität Wisconsin bestätigte 1996 wiederum, dass verschiedene Bestandteile fermentierter japanischer Sojasauce antioxidativ und damit antikarzinogen – also krebshemmend – wirken.

Begleiterscheinungen
Wichtig ist natürlich auch, was neben Fleisch und Fisch sonst noch am Teller landet. Wie etwa Senf und Knoblauch, die beide stark Nitrosamin- und Benzpyren-hemmend wirken. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 1982 beweist etwa: Das Risiko, tödlich an Magenkrebs zu erkranken, ist bei Menschen, die täglich 20 g Knoblauch konsumieren, rund 13 Mal niedriger als bei Menschen, die täglich nur 1 g Knoblauch zu sich nehmen. Das stellte die „Kreta-Diät“ in ein neues Licht.

An der Universität Freiburg wurde in Kulturen menschlicher Zellen und anschließend auch in zwei voneinander unabhängigen Studien in vivo nachgewiesen, dass Senf vor der Wirkung krebsauslösender Stoffe effektiv schützt – etwa vor polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Schon der einmalige Konsum von 20 g scharfen Senfs schützt die weißen Blutzellen, der Schutzeffekt hält nach dem Konsum auch eine gewisse Zeit lang an und verliert sich nicht so schnell wie etwa bei Vitamin C. Dem jedoch an sich (besonders in Kombination mit Vitamin E) ebenfalls eine stark Nitrosamin-hemmende Wirkung zugeschrieben wird. Diese Nitrosamine, die auch in unserem Magen aus Nitrit entstehen können, das wir mit gepökeltem Fleisch, aber besonders auch mit vielerlei Gemüsesorten aufnehmen, werden als stark krebserregend eingeschätzt. Gerade das denunzierte Gemüse hat mit seinem Vitamin-C-Gehalt offenbar aber auch gleich ein wirksames „Gegengift“ mit an Bord.

Basic Instinct
Alles in allem scheint die Wissenschaft immer mehr zu bestätigen, dass unser Gusto klüger als wir selbst und oft nichts anderes als der Dolmetsch funktionierender Instinkte ist. Wir suchen Abwechslung beim Essen, weil uns das gut tut und tunken die Krainer tief in Senf, weil uns genau diese sinnvolle Kombination so schmeckt. Und wenn uns umgekehrt vor so manchem graust, sollten wir es auch bestimmt nicht essen. Lediglich beim Zucker dürfen wir nicht unbedingt unserem Appetit vertrauen, denn mit dessen Hochverfüg-barkeit seit rund 10 Generationen hat die Evolution scheinbar noch nicht wirklich gerechnet.

Quelle: GrillZeit 02/2011


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