Kulturgeschichte des Fleisches

Zu Beginn unserer kulinarischen Entwicklingsgeschichte standen jedoch ganz oben am Speiseplan mehr oder weniger saftige Häppchen vom Aas.

Am Anfang war das Feuer
Als der Homo erectus vor rund 1,5 Millionen Jahren begann, Werkzeuge herzustellen und Feuer zu machen, lernte er zum ersten Mal den Geschmack von gebratenem Fleisch kennen – das löste den nötigen Motivationsschub aus, um die Essgewohnheiten der Frühmenschen zu revolutionieren. Zuvor ernährten sie sich lediglich von Aas und Wurzeln. In der Ära des Homo sapiens vor 200.000 Jahren wurden die Waffen und Jagdmethoden weiter entwickelt, um neue Wagnisse einzugehen. Von nun an wurde nämlich auch erfolgreich Jagd auf Großwild wie Mammuts, Nashörner, Bisons, Bären und Wildschweine gemacht. Die Jäger waren besser organisiert und ihr Energieaufwand sank, während die Energiezufuhr durch die Nahrungsaufnahme überproportional stieg. Daraus ergab sich eine positive Energiebilanz, die entscheidend für die Weiterentwicklung des menschlichen Gehirns war.

Der Übergang zur Sesshaftigkeit
Nachdem die Bestände vieler Wildtiere nach der Eiszeit vor 10.000 Jahren schrumpften und sich die Bedingungen für ein sesshaftes Leben verbesserten, fingen unsere Vorfahren allmählich damit an, Getreide und Feldfrüchte anzubauen sowie Wildtiere zu domestizieren. Die gesunde Steinzeitkost aus fettarmem Fleisch, Fisch und Rohkost, an die wir uns über Jahrmillionen ernährungsphysiologisch angepasst hatten, wurde nun teilweise durch pflanzliche Kost ersetzt. Die neu gewonnenen Nutztiere (Ziegen, Schafe, Rinder, Schweine) versorgten ihre Besitzer mit Milch, Fleisch und Wolle, Rinder konnten sogar für die Feldarbeit eingesetzt werden. Das Ansehen der Tiere wuchs je nach ihrem Nutzen und schließlich wurden sie in vielen Kulturen sogar den Göttern geopfert.

Rituale und Tabus
Die Griechen opferten ihren Göttern beispielsweise Stiere, die Germanen hingegen schmückten ihre Altäre mit Pferdefleisch. Aber Tiere wurden kulturell nicht nur geachtet, sondern auch geächtet. Der Anthropologe Marvin Harris führt etwa das Verbot von Schweinefleisch1 im Judentum und Islam darauf zurück, dass die Tiere aufgrund einer Aneinanderreihung unglücklicher Faktoren mit einem Nahrungstabu belegt wurden. Ähnlich erging es den Rindern in Indien. Sie wurden allerdings mit einem positiven Tabu belegt, das die „Heiligen Kühe“ vor dem Verzehr schützen, gleichzeitig deren Verwendung als Nutztiere aber gestatten sollte. Spezielle Fastenregeln und -rituale fanden ebenfalls Einzug in religiös geprägte Gesellschaften. Die mittelalterliche Kirche verbot an Fastentagen etwa den Verzehr von Fleisch, Milch und Eiern. Fleischliebhaber fanden aber trotzdem Wege, um ihren Hunger zu stillen. Fleisch und Wurstwaren wurden etwa im Teigmantel versteckt mitgebacken und heimlich gegessen oder zu feinen Pasteten verarbeitet. Zudem wurde Geflügel nicht mehr dem Fleisch zugerechnet, weil es in Gottes Schöpfungsmythos nicht am selben Tag wie das Vieh und die Tiere des Feldes erschaffen wurde. Selbst in Klöstern wurde der Interpretationsspielraum, was nun erlaubt sei – und was nicht–, weit gedehnt. So züchteten manche Ordensbrüder Kaninchen, um deren Föten und Neugeborene zu verzehren – sie waren als Fastenspeise erlaubt.

Neuzeitliche Errungenschaften
Seinen vorläufigen Höhepunkt nahm der Fleischverzehr in Europa aber im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Durch neue Mastmethoden wurde die Tierhaltung intensiviert und der Vieh- und Fleischhandel ausgebaut. Fleisch wurde plötzlich für weite Teile der stark wachsenden Bevölkerung zu einem leistbaren Nahrungsmittel. In der feudalen Gesellschaft gab es natürlich zahlreiche Nutz- und Wildtiere, die dem Adel vorbehalten waren. Die ärmeren Menschen niederen Standes mussten sich noch lange mit dem Fleisch minderer Qualität (Schaf- und Ziegenfleisch, Würste, Speck) begnügen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es aber mit zunehmender Industrialisierung und dank neuer technischer Verfahren und Lagerungsmöglichkeiten auch für Bauern und Arbeiter eine größere Auswahl bei Fleischwaren. Neben den, zwecks der Haltbarkeit, in Fett eingelegten oder gepökelten Lebensmitteln wurden allmählich auch Frischfleisch aus Kühlmaschinen und Fleisch aus neuartigen Blechkonserven angeboten.

Fleisch prägt Kulturen
Im 20. Jahrhundert vollzog sich ein weiterer Entwicklungsschritt in der Fleischindustrie. Mit dem Aufkommen der Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Warenaustausch über nationale Grenzen hinaus regelte zunehmend der Markt das Angebot. Der Fleischkonsum hat sich in dieser Zeit fast verdoppelt und die Lagerung von Frischfleisch ist seither auch im eigenen Kühlschrank einfach wie nie. In den westlichen Industrieländern und zunehmend auch in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien ist Fleisch mittlerweile ein preisgünstiges und jederzeit verfügbares Produkt. In Österreich liegt der Fleischkonsum derzeit bei etwa 66,4 kg pro Jahr, wovon 40 kg auf Schweinefleisch entfallen. Dieses Essverhalten macht sich auch kulturell bemerkbar: Das Sonntagsbraterl hat bei uns ebenso Tradition wie der Schinkenroller zu Ostern, ganz zu schweigen von den Alltime-Klassikern: Schnitzel, Stelze oder Spare Ribs.

Quellen: 1) Harris 2005 (siehe auch Absatz 2 "Vom Glückssymbol zum Sonntagsbraten"), Das große Buch vom Fleisch 2006, Red. 2012

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