Weit hergeholt

Das Märchen vom bösen, roten Fleisch

Bei ihren einschlägigen Statements stützte sich etwa die gelernte Betriebswirtin und Ernährungstherapeutin Sasha W. in ihren Sendungen auf den Report des „World Cancer Research Fund“ aus dem Jahr 2007, der es verstanden hat, weltweit von enormer Publicity begleitet, als Letztinstanz in Sachen Ernährung zitiert zu werden. Etwa mit der Empfehlung, den Konsum von rotem Fleisch und verarbeitetem Fleisch (also z.B. Wurst) auf 300 Gramm pro Woche einzuschränken. Denn diese Lebensmittel seien vermutlich Risikofaktoren bei der Entstehung von Krebs.

Genaues zum Warum wüsste man zwar nicht, aber man habe da einen Verdacht. Oder besser zwei. Denn sowohl das an sich sehr wertvolle „Häm-Eisen“ in Muskelfleisch  als auch das ebenfalls in vielen Lebensmitteln natürlich vorkommende Nitrat werden – die entsprechende Dosierung und oxidative bzw. thermische Prozesse bei der Zubereitung vorausgesetzt – als mögliche Bösewichte namhaft gemacht.

Zweifel angebracht

Da Fleisch aber nun einmal seit Menschengedenken als wertigstes Lebensmittel gilt und die menschliche Entwicklungsgeschichte aus anthropologischer Sicht nicht nur begleitete, sondern eigentlich erst ermöglichte, regten sich bei vielen selbständig denkenden Wissenschaftlern ob starke Zweifel dieses Generalverdachtes. So auch bei Prim. Meinrad Lindschinger, dem Vorstand des Institutes für Ernährung und Stoffwechselkrankheiten auf der Laßnitzhöhe und seinem Expertenteam, die den genannten Report genauer unter die wissenschaftliche Lupe nahmen und die Ergebnisse dieser Analyse kürzlich veröffentlichten. Mit hochinteressanten Erkenntnissen.

Studien-Untiefen
Der „World Cancer Report Fund“ an sich ist ja keine Studie, sondern eine ausgewählte, umfangreiche Mehrzahl davon. Diese „Metastudie“ ist dann die Grundlage für Empfehlungs-Aussagen, die keiner konkreten wissenschaftlichen Basis bedürfen, sondern als freie Interpretation reichlich unscharfer Teilergebnisse von einem Autoren-Team getätigt werden. Diese systemimmanente Unschärfe und die deshalb durchaus angebrachte Vorsicht in den Formulierungen verlieren sich dann im Laufe der Kommunikationskette, um in drastischen Banal-Sprüchen zu enden. Die meisten der im WCRF zitierten Studien sind zumindest im geographischen Sinn weit hergeholt – hauptsächlich aus den USA. Welche ja in Sachen Fleischproduktion und -konsum (gottlob) in keinster Weise mit Österreich vergleichbar sind. Denn die sagenhaft saftigen Steaks der Amerikaner stammen leider in der Regel aus intensiver Hormon-Mast, das Injiziieren von Wasser und Konservierungsstoffen ist selbst bei Frischfleisch ebenfalls Usus, auch ist die chemische Behandlung der Oberflächen in den Staaten ganz normal. Und die durchschnittlich pro Kopf verzehrten Mengen sind für österreichische Verhältnisse monströs. Auffallend ist auch der Umstand, dass der eigentliche Studiengegenstand offensichtlich meist ein gänzlich anderer war, worauf auch hinweist, dass 3 von 4 Studien „eingeschlechtlich“ angelegt waren – etwa zum Thema Brustkrebs. So kommt es dazu, dass einige relevante Parameter für Darmkrebs – wie genetische Veranlagung,  Bewegungsmangel und selbst intensiver Alkoholkonsum meist völlig ausgeblendet blieben. Auffallend ist weiters, dass im WCRF eine Vielzahl von Studien genannt werden, die Zahl der Autoren und Autorenteams jedoch deutlich geringer ist. Es sind immer wieder die gleichen Namen (De Stefani, Sinha, Cross, Goldbohm, Levi, Bingham und Zheng), die meist auftauchen, wo Fleisch als Krebsrisiko identifiziert wird. Man zitiert und applaudiert einander – fast wie die GUS-Staaten beim Song-Contest.

Fakten & Fehler

Viele Krebsarten werden in diesem Report genannt, aber nur das Darmkrebsrisiko durch den Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch wird von den Autoren schlussendlich als „überzeugend“ bewertet. Weniger überzeugend ist allerdings die Datenbasis auch für diese Beurteilung:
Denn 71 erwähnte Fallstudien bleiben hier gänzlich unbelegt, nur 16 Kohortenstudien werden als Quelle mit Literaturangabe benannt. Und nur bei einem Viertel (also bei 4) dieser ohnehin vorverlesenen Studien wurden „signifikante“ Risikoerhöhungen durch Fleischkonsum aus dem Datenmaterial „hochgerechnet“, drei Viertel (also 12) kommen zu einem anderen Ergebnis!
„Signifikant“ bedeutet im Fall der ersten Studie beispielsweise, dass sich das Darmkrebs-Risiko für Intensiv-Fleischesser gegenüber Fleischasketen durchschnittlich von 1: 1.000 auf 1:750 erhöht. Also von 0,10 Prozent auf 0,13 Prozent. Und nur bei Studie 3 wurde untersucht, wie es Menschen ergeht, die zwar viel Fleisch, aber zumindest drei Mal in der Woche auch Gemüse essen. Ergebnis: Deren Krebsrisiko war von dem der Fleischverächter nicht zu unterscheiden. Noch ein pikantes Detail dieser Studie: Die Probanden mit erhöhtem Risiko hatten gegenüber den anderen Teilnehmern einen um das 20-fache (!) erhöhten Alkoholkonsum. Hier ausgerechnet den Fleischkonsum als Krebsauslöser sehen zu wollen, ist fast schon Realitätsverweigerung. Bei der einzigen europäischen Studie (aus Schweden), die über einen Zeitraum von 14 Jahren geführt wurde, erkrankten übrigens 1,2 Prozent der 61.433 Probandinnen im Durchschnittsalter von 68,3 Jahren an Krebs – nur ein kleiner Teil davon natürlich an Darmkrebs. Das „signifikant“ erhöhte Risiko dafür wurde auf dieser sehr bescheidenen Datenbasis mit dem Faktor 1,4 bis 2,2 errechnet.

Das Wichtigste in Kürze:

Nur 4 von 16 belegten und von den Autoren ausgewählten Studien kommen auf bescheidener Datenbasis zu einer signifikanten Erhöhung des Darm-
krebsrisikos durch intensiven Fleisch- oder Wurstkonsum. 12 dieser Studien ergeben dies hingegen nicht. Die Chance, durch besonders hohen Fleischkonsum Darmkrebs zu bekommen, liegt auch nach diesen 4 Studien statistisch gesehen im Promillebereich. Noch nicht eingerechnet weit größere Risken wie Rauchen, Alkoholkonsum und vor allem genetische Veran-lagung. Abwechslungsreiche Kost (mit Gemüse) reduziert dieses Risiko gänzlich – so geht es aus einer der erstgenannten 4 Studien hervor, bei der dies (im Unterschied zu den drei anderen) ebenfalls Gegenstand der Betrachtung war.

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