Postmortale Veränderungen des Fleisches
Vorgänge, die zur Totenstarre führen
Bestimmte physiologische Vorgänge laufen im Fleisch auch nach dem Tode noch weiter ab und kommen erst nach längerer Zeit zum Stillstand. Diese Vorgänge haben eine enge Beziehung zu den chemischen Umsetzungen bei der Muskelkontraktion und der Erhaltung des Ruhezustandes.
Bei der Muskelkontraktikon kommt es zu komplizierten chemischen Reaktionen. Die während der Muskelkontraktion geleistete Arbeit stammt letzten Endes aus der Oxydation von Nahrungsstoffen. Die wichtigsten Energielieferanten sind dabei die Kohlenhydrate. Fette und Eiweiß kommen im lebenden Muskel als Energielieferanten nur dann in Betracht, wenn die Kohlenhydrate aufgebraucht sind.
Bei der Muskelkontraktion wird Adenosintriphosphat (ATP) hydrolytisch gespaltet und auf diese Weise wird Energie freigesetzt: ATP + H20 ► ADP + H3PO4 + 10.000 cal.
Diese Reaktion wird durch ATP-spaltende Enzyme = “ATP-asen” des Muskels ausgelöst.
Die Kontraktion und Erschlaffung werden durch Ionenverschiebung im Muskel gesteuert. Da im Muskel die ATP-Konzentration nicht sehr hoch ist, muss schon während der Muskelarbeit ATP dauernd regeneriert werden.
Nach dem Schlachten der Tiere kommt es zunächst zu einem gewissen ATP-Abbau infolge des Muskeltonus. Wenn kein ATP mehr gebildet werden kann, wird schließlich das gesamte ATP verbraucht und der Muskel geht in die Totenstarre (rigor mortis) über. Die Totenstarre hängt also direkt mit dem Verschwinden des ATP aus dem Muskel zusammen. Dieser Vorgang lässt sich damit erklären, dass im ruhenden Muskel ATP die Eigenschaft hat, den Muskel weich und plastisch zu erhalten (Weichmacherwirkung).
Der biochemische Verlauf bis zum Einritt der Totenstarre lässt sich in 2 Phasen einteilen:
- Die Dehnbarkeit und die Elastizität sind unverändert, das Fleisch ist weich und plastisch. Diese Phase dauert verschieden lang, je nach den Glykogen- und ATP-Reserven (1 - 20 Std.). Die Glykogenspaltung führt zur Bildung von Milchsäure und dadurch zu einer pH-Wert-Senkung. Mit sinkendem pH-Wert nimmt die ATP-Spaltung zu.
- Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Dehnbarkeit der Muskel und ihre Plastizität rasch abnehmen (2 - 3 Std.). Der ATP-Verlust führt zur Starre. Die Quellbarkeit und Löslichkeit des Muskeleiweißes ist im Stadium der Totenstarre verringert, z.T. tritt auch Kontraktion ein, insbesondere unter Kälteeinwirkung (unter 14 °C: „cold shortening“)
Die Zeitspanne bis zum Eintritt der Totenstarre hängt von inneren und äußeren Faktoren ab:
- Innere Faktoren sind, wie bereits erwähnt, die Glykogen-, ATP- und KP-Reserven. Je höher der Gehalt der Muskulatur an diesen Stoffen im Zeitpunkt der Schlachtung ist, desto später tritt die Totenstarre ein und umgekehrt.
- Ein wesentlicher äußerer Einfluss auf den Zeitraum bis zum Eintritt der Totenstarre ist die Temperatur des Fleisches. Bei rascher Abkühlung werden die postmortalen Prozesse verlangsamt und die Totenstarre tritt später ein als bei weniger rascher Abkühlung. Im Gefrierfleisch sind die biologischen Prozesse fast völlig unterdrückt. Fleisch, das vor Eintritt der Totenstarre eingefroren wurde, zeigt erst nach dem Auftauen (oft mehrere Monate später) die Erscheinung der Totenstarre, die in der Regel mit großen Saftverlusten verbunden sind. Bei hohen Glykogengehalten wird relativ viel Milchsäure gebildet, der pH-Wert sinkt daher stärker als bei geringem Glykogengehalt. Der pH-Wert, der bei Eintritt der Totenstarre erreicht wird, ist das sogenannte End-pH-Wert.
Die Totenstarre tritt nicht am ganzen Tierkörper gleichzeitig ein, sondern erfasst zunächst jene Muskel, die bis zuletzt Arbeit geleistet haben. Sie beginnt am Herzen, erfasst dann die Zwerchfellmuskulatur, die Nacken- und Halsmuskulatur, Kau-, Zungen- und Kopfmuskulatur, Vorder- und Hintergliedmaßen und schließlich den Rumpf.
Der Verlauf der postmortalen Veränderungen hängt auch von einer Reihe prämortaler Faktoren ab:
- Training:
Gut trainierte Tiere haben hohe ATP-, KP- und Glykogenreserven, daher tritt bei diesen die Starre relativ spät ein und es wird ein niedriger End-pH-Wert erreicht (günstig für Warmfleischverarbeitung, weil die vorteilhaften Eigenschaften länger erhalten bleiben, günstig auch für die Herstellung von Pökelwaren, wegen der guten Säuerung).
- Fütterung:
Kohlenhydratreiche Fütterung, insbesondere kurze Zeit vor der Schlachtung, sichert große Glykogenreserven und führt daher zu spätem Eintritt der Starre und zu einem niedrigen End-pH-Wert.
- Negative Einflüsse:
Verminderte Glykogenreserven und mangelhafte Säuerung sind insbesondere gegeben:- bei starker Muskeltätigkeit und
- bei Stress unmittelbar vor dem Tode.
Bei mangelhafter Säuerung behält Rindfleisch eine dunkelrote Farbe („dark-cutting“ beef), was unerwünscht ist, da der Anschein einer schlechten Ausblutung erweckt wird. Auf die verringerte Haltbarkeit und verschlechterte Pökelbereitschaft bei höherem End-pH-Wert wurde schon hingewiesen.
Zur Sicherung optimaler postmortaler Vorgänge ist dafür Sorge zu tragen, dass nur ausgeruhte, nicht erhitzte und nicht erregte Tiere zur Schlachtung gelangen (Ausruhzeiten 6 -12 Std.) und die Tiere in einer Weise betäubt werden, dass es nicht zu starken reflektorischen Muskelbewegungen kommt.
Der End-pH-Wert und unter gewissen Bedingungen auch der Zeitpunkt des Eintrittes der Totenstarre haben technologische Bedeutung. Gut gesäuertes Fleisch weist einen End-pH-Wert von 5,4 bis 5,8 auf, weniger gut gesäuertes Fleisch kann pH-Werte von 6,2 bis 7,0 aufweisen.
Für Pökelwaren (wie Schinken u. dgl.) ist ein niedriger pH-Wert erwünscht, weil die stärkere Säuerung eine Strukturauflockerung bedingt, wodurch die Diffusion der Pökelstoffe verbessert wird. Außerdem laufen die erwünschten chemischen Reaktionen, insbesondere die Nitritreduktion, bei niedrigerem pH-Wert rascher ab und die Ausbildung des Pökelfarbstoffes ist verbessert. Eine stärkere Säuerung hat auch hygienische Vorteile: bei niedrigem Ein-pH-Wert wird die Vermehrung von Verderbniskeimen stärker gehemmt als bei hohem End-pH-Wert. Außerdem ist bei niedrigem pH-Wert die bakterizide Wirkung des Nitrits wesentlich stärker als bei hohem.
Ein relativ hoher pH-Wert ist technologisch nur dann erwünscht, wenn es auf die Löslichkeit des Muskeleiweißes ankommt, wie dies bei der Brühwurstherstellung der Fall ist. Die geringste Löslichkeit liegt für Muskeleiweiß im Bereich von pH 5,3, ein Wert, der bei gut gesäuertem Fleisch in etwa vorliegt.
„Warmfleischverarbeitung“ ist daher vor allem deshalb so günstig, weil infolge des Vorhandenseins von ATP im Fleisch das Muskeleiweiß in Form von Aktin und Myosin vorliegt, das bei der Brätherstellung wesentlich leichter in Lösung geht. Auch der noch höhere, oberhalb des isoelektrischen Bereiches liegende pH-Wert wirkt sich auf die Eiweißlöslichkeit günstig aus. Da es dabei nicht auf die Temperatur des Fleisches ankommt, sollte man nicht von Warmfleischverarbeitung, sondern von Verarbeitung des schlachtfrischen Fleisches sprechen.
Quelle: DFS