Tafelspitz

Ein besonderes Stück Fleisch
Der Tafelspitz ist eine der berühmtesten Spezialitäten der Wiener Küche. Für das altösterreichische Gericht wird traditionell das gut abgehangene, feinfaserige Stück Rindfleisch vom Schlögel („Knöpfel") eines jungen Ochsen verwendet. Das wie das Gericht bezeichnete Fleischteil, der Tafelspitz, schließt an das sogenannte „Tafelstück“ an und erhält seinen Namen vom charakteristischen Schnitt der Fleischteilung. Er ist leicht an seiner Form erkennbar, die an der oberen Rundung einen schmalen Fettrand aufweist, der zusätzlich Geschmack gibt. Die Zubereitung des Tafelspitz, das Kochen, Köcheln bzw. Sieden des Rindfleischstückes im Ganzen, braucht Finesse, Erfahrung und Zeit.

Rindfleischmetropole Wien
Die wichtigste Fleischquelle der Kaiserstadt Wien war das Rind, vorzugsweise von „ungarischen, galizischen und deutschen Mast-, Weide- und Bauernochsen", die extra aus weit entfernten Gebieten herangetrieben wurden. Schon seit dem 15. Jahrhundert war der Rindfleischverbrauch in Wien dementsprechend hoch. Für gesottenes Rindfleisch wurden Mastochsen aus der ungarischen Puszta bevorzugt. Ihr Fleisch wies jene Zartheit, Saftigkeit und Würze auf, die das Gericht erst zu einer so begehrten Spezialität gemacht hat.

Der Legende nach wurde der Tafelspitz als der Vertreter des gekochten Rindfleisches schlechthin im berühmten Hotel Sacher in Wien „erfunden" – und zwar nicht für Kaiser Franz Joseph I., sondern für seine hohen Militärs. Die legendäre Anna Sacher soll aus deren Not eine genüssliche Tugend gemacht haben: Franz Joseph I. aß bei offiziellen Hofbanketts sehr rasch und von jedem Gang nur wenige Bissen. Nach der strengen Hofetikette durfte aber keiner der Gäste, bevor oder nachdem der Kaiser das Besteck in die Hand genommen bzw. weggelegt hatte, essen. Dieser Umstand war natürlich sehr zum Leidwesen jener k. u. k. Militärs an der Hoftafel, die noch nicht einmal eine Speise serviert bekommen hatten, während der Kaiser schon wieder sein Besteck weglegte. Um ihren Hunger zu stillen, mussten sie im Anschluss essen gehen. Anna Sacher empfing die hungrigen Gäste von der kaiserlichen Tafel, wusste aber nie genau, wann sie bei ihr erscheinen würden. So ließ sie für die hohen Militärs ein Gericht vorbereiten, das stundenlang vor sich hinkochen konnte und dabei sogar noch besser wurde – den Tafelspitz.

Ein Gericht – eine Lebensphilosophie
Gekochtes Rindfleisch und Suppe haben eine lange gemeinsame Geschichte. Sie können ohne einander gar nicht existieren: ohne Rindfleisch keine Suppe und ohne Suppe kein gekochtes Rindfleisch. Die Suppe wird daher gerne mit dem Rindfleisch gemeinsam aufgetragen.  

Die Frage nach der Art der Rindfleischzubereitung – gesotten oder doch lieber gebraten – war im alten Wien durchaus umstritten. In der kaiserlichen Hofküche war jedenfalls schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gekochtes Rindfleisch Standard. Wirkliche Popularität erlangte das Altwiener Siedefleisch aber schließlich durch Kaiser Franz Joseph. Für die private Hoftafel genügte ihm einfache Kost, wie gekochtes Rindfleisch mit Beilagen, etwa Kohl oder Kohlrabi, ein Teller frisch geriebener Kren, einige junge Zwiebeln und altbackenes Brot zum Auftunken des Saftes. Großen Wert legte er aber angeblich darauf, dass sein Gustostückchen vom Blondvieh stammte.

Das schlichte Gericht fand schließlich den Weg ins Bürgertum und auch in viele Restaurants und Gasthöfe. Gekochtes Rindfleisch entwickelte sich zu einem tragenden Teil Wiener Lebens- und Genussphilosophie, die bis zum Zweiten Weltkrieg alle Krisen überstand. Danach verschafften engagierte Gastronomen dem Wiener Klassiker wieder seinen verdienten Platz. Während viele Speisen der klassischen Wiener Küche aus den Kronländern bzw. Ungarn stammen, ist das gekochte Rindfleisch eine originäre Wiener Spezialität.

Quelle: Kulinarisches Erbe Österreich

zurück zur Übersicht